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    Sauerstofftoxikose
    1. Zusammenhang zwischen Sauerstoffpartialdruck (ppO2) und Sauerstofftoxizität.
    Der englische Naturwissenschaftler John Dalton [1] erkannte, dass sich die Drücke einzelner Gase (Partialdrücke) innerhalb eines Gasgemisches zum Gesamtdruck addieren. Der Sauerstoffpartialdruck kennzeichnet somit den Anteil des Sauerstoffs am Gesamtdruck innerhalb eines Gasgemisches.

    Mit Blick auf die Zusammensetzung der normalen Atemluft[2] lässt sich feststellen, dass der ppO2 des Sauerstoffs bei dem auf Meereshöhe herrschenden Gesamtluftdruck von etwa 1013 hPa[3] bei ca. 210 hPa (entspricht 0,21 bar) liegt.

    Der französiche Arzt Paul Bert[4] beschrieb erstmals 1878 im Zusammenhang mit der Entwicklung von Dekompressionsverfahren den neutotoxischen Effekt (Paul-Bert-Effekt) beim Atmen von Atemgasgemischen mit hohem Sauerstoffpartialdruck. Es handelt sich dabei um eine reversible Vergiftung des zentralen Nervensystems, die sowohl vom Partialdruck des Sauerstoffs, als auch von der Einwirkzeit abhängt. Die Einwirkung hoher ppO2 Drücke kann eine Schädigung der Lunge (pulmonare Schädigung) hervorrufen (Lorrain-Smith-Effekt[5]). Im Gegensatz zum Paul-Bert-Effekt tritt dieser ausschließlich nach Langzeiteinwirkung von hyperbarem Sauerstoff [6]ein.

    Bei einem ppO2 oberhalb von 1,6 bar ist in relativ kurzer Zeit mit einer Sauerstofftoxikose zu rechnen. Die Vergiftung führt zu Krampfanfällen, häufig beginnend im Bereich des Mundes und der Augenlieder. Ein beschleunigter Puls, Übelkeit, Schwindelgefühl, Kopfschmerzen, Unruhe, Tunnelblick und Ohrengeräusche können als Warnsignale auftreten. Häufiger ist jedoch das unvermittelte in Erscheinung treten der Symptome. Die Krampfanfälle weiten sich – oftmals begleitet von schneller, flacher Atmung, Erstickungsängsten und Beklemmung – schnell aus und führen zum Bewusstseinsverlust.

    Starke körperliche Belastung, Kälte, ein hoher Kohlendioxydgehalt im Blut[7]oder auch ein niedriger Blutzuckerspiegel[8] begünstigen das Eintreten des Paul-Bert-Effekts. Nach Drucknormalisierung klingen die Symptome voll reversibel ab.

    2. Auswirkungen auf den Taucher
    Unter Wasser führt die Sauerstofftoxikose zum Verlust des Atemreglers und zum Ertrinken.

    Die Vielzahl der Tauchverbände empfiehlt einen ppO2 von 1,4 bar während des Tauchgangs nicht zu überschreiten. Während der Dekompressionsphase wird von manchen Verbänden ein maximaler ppO2 von 1,6 bar als zulässig angesehen.

    Unter Verwendung normaler Pressluft wird im Salzwasser der Grenzwert von 1,6 bar ppO2 in einer Tiefe von rund 66,4 Metern erreicht. Der Grenzwert von 1,4 bar ppO2 liegt in einer Tiefe von ca. 56,8 Metern an. Unter Einbeziehung dieses Wissens lässt sich sehr schnell erkennen, dass mit Tauchtiefen jenseits der 55 Meter unter Verwendung normaler Pressluft ein hohes Unfallrisiko einhergeht.

    3. Erhöhte ppO2 Exposition während Druckkammerfahrten
    Die Teilnehmer von 50-Meter-Druckkammerseminaren werden sich vielleicht wundern, warum bereits ab einer Tauchtiefe von 18 Metern (entspricht ca. 60 Ft.[9]) während der Auftauchphase reiner Sauerstoff als Dekogas veratmet wird. Unter Berücksichtigung der vorgenannten Zusammenhänge liegt in diesem Falle ein ppO2 von 2,8 bar an, also eine signifikante Überschreitung der von den Tauchverbänden für Tauchgänge empfohlenen Werte.

    Diese Verfahrensweise geht zurück auf die Anwendung der US Navy Treatment Table 6 (TT6)[10].



    Unter ärztlicher Aufsicht ist die Exposition höherer ppO2 tolerierbar. Insbesondere wegen der relativen Ruhe der Druckkammerinsassen (sitzen oder liegen, keine Muskeltätigkeit) führt die zeitweise Atmung von Sauerstoff mit einem ppO2 von 2,8 bar nur in sehr seltenen Fällen zu einer Sauerstofftoxikose. Bei Eintreten von Symptomen einer Sauerstoffvergiftung reicht es in der Regel, die Atemmaske zu entfernen und den Druckkammerinsassen wieder unter normalen ppO2 Druckverhältnissen atmen zu lassen.

    Die nachfolgend beschriebene Studie[11] erlaubt eine ungefähre Einschätzung, mit welcher Wahrscheinlichkeit der Paul-Bert-Effekt bei einer ppO2 Exposition von 2,8 bar während einer Druckkammerfahrt auftreten kann. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei den in die Studie einbezogenen Druckkammerinsassen um erkrankte Personen und beim eingesetzten Kammertyp um Einmann-Druckkammern handelte – ein Umstand der das Eintreten einer Sauerstofftoxikose bzw. einen negativen Einfluss auf die psychische Stabilität des Patienten und somit auch wieder das Eintreten einer Sauerstofftoxikose begünstigt.

    Zwischen 1985 und 2004 wurden im LDS Hospital, Salt Lake City, Utah 90 Patienten unter Anwendung der U.S. Navy TT6 in Einmann-Druckkammern behandelt.


    Einmann-Druckkammer (Monoplace hyperbaric chamber)

    72 Patienten waren Taucher, wovon 67 wegen einer Dekompressionserkrankung (DCS) und 5 wegen einer arteriellen Gasembolie (AGE) behandelt wurden. 7 Patienten aus der Gruppe der Taucher mussten intubiert werden. Der ppO2 von 2,8 bar wurde von 94% der Patienten ohne Symptome verkraftet. Von 6% (7 Personen) der Patienten wurde der hohe ppO2 nicht toleriert.

    Die Deutsche Gesellschaft für Tauch- und Überdruckmedizin (GTÜM e. V.) hat zusammen mit dem Verband Deutscher Druckkammerzentren (VDD e. V.) eine Leitlinie für Druckkammerseminare[12] (50m-Tauchsimulation) veröffentlicht. Abweichend von der Dekompression mit einem ppO2 von 2,8 bar nach U.S. Navy TT6 wird das nachfolgend abgebildete 50m-Profil für alle Mitglieder als bindend vorgeschrieben.

    Tiefe (Meter) t t gesamt O2% N2%
    0 - 50 6 6 21 78
    50 - 50 9 15 21 78
    50 - 26 5 20 21 78
    26 - 26 2 22 21 78
    26 - 12 5 27 21 78
    12 - 12 1 28 100 0
    12 - 9 3 31 100 0
    9 - 9 6 37 100 0
    9 - 6 3 40 100 0
    6 - 6 17 47 100 0
    6 - 3 3 60 100 0
    3 - 3 3 63 100 0
    3 - 0 3 66 21 78

    aus: Leitlinie „Druckkammerseminare“ - GTÜM e.V. / VDD e.V. vom 01.08.2007


    [1] John Dalton (* 06.09.1766 in Eaglesfield, Cumberland; † 27.07. 1844 in Manchester)

    [2] Zusammensetzung Wasserdampf-freier Atemluft: 78,07% Stickstoff (N2), 20,96% Sauerstoff (O2), 0,93% Argon (Ar), 0,04% Kohlendioxyd (CO2)

    [3] Definition von Druckeinheiten: 1 atm (technische Atmosphäre) = 101,325 kPa (Kilopascal) = 1013 hPa (Hektopascal) = 1,013 bar = 760 Torr = 760 mm Hg (Millimeter-Quecksilbersäule)

    [4] Paul Bert (*17.10.1833 in Auxerre, † 11.11.1886 in Hanoi)

    [5] James Lorrain Smith, britischer Arzt (1862-1931)

    [6] Sauerstoff unter hohem Druck

    [7] Hyperkapnie

    [8] Hypoglykämie

    [9] 1 Ft. (Fuß) = 0,30479 Meter

    [10] s. U.S. Navy Diving Manual, Revision 6, Chapter 20 ff.

    [11] s. UHM 2006, Vol. 33, No. 2 – Monoplace use of TT6; Monoplace hyperbaric chamber use of U.S. Navy Table 6: A 20-year experience. L. K. Weaver, Medical Director Hyperbaric Medicine

    [12] Leitlinie „Druckkammerseminare“ - GTÜM e.V. / VDD e.V. vom 01.08.2007, als PDF unter http://tinyurl.com/3zgz5v7